Montag, 14. Juli 2014

Sturm auf die Bastille III


Aus „Dieses ist der Mittelpunkt der Welt - Pariser Tagebuch 1788/1789“ von Wilhelm von Wolzogen.
(Die Schreibweise des Originals wurde zum großen Teil beibehalten)

Paris, am 14. Juli 1789

Die Nacht ward unruhig. Das mutwillige Schießen, das Lärmen, das Läuten der Sturmglocke, wenn es einem einfiel, der falsche Alarm für fremde Truppen: alles
Prince de Lambesc
dieses vermehrte die Unordnungen. Man drohte, einige Hotels anzustecken, man ward erbittert gegen den Prinz Lambesc, gegen einige andere Großen. Der Kaiserl. Gesandte bekam Wache vor das Haus; niemand kam herein oder heraus, ohne visitiert zu werden, jeder Wagen, jeder Karren, jeder Kourier wurde angehalten, ausgesucht, seine Briefschaften aufgebrochen; dieses geschah auch auf der Post. Jetzt suchte man sich in allen Fällen sicher zu stellen: suchte Canonen hervor, fiel in die Invaliden ein u. nahmen da das Geschütz weg, kamen endlich auch auf den
Gedanken, sich der Bastille zu bemächtigen und die Kanonen herauszuführen.
Dieses war ein Unternehmen, das nur in dem Gehirn eines Franzosen entstehen konnte. Bisher hatte man immer geglaubt, daß dieses eines der festesten, unzugänglichsten Forts seie und nur durch unaufhörliches Bombardement könnte eingenommen werden; der Charakter, den es hatte, war schon hinreichend, diese Ideen zu bekräftigen. Allein gewohnt, nirgends Widerstand zu finden, auch in der Hoffnung, daß die darinnen lägen, ihre Partie ergreifen würden, rückte ohne alle Ordnung, ohne allen Plan ein Trupp bewaffneter Bürger heran. Der Gouverneur, Msr. de Launay (Kommandant der Bastille), steckte die weiße Fahne auf, ließe aber doch einige Kanonennschüsse mit gehacktem Blei tun; die aber keiner Schaden waren, da die Leute zu nahe schon waren unter den Kanonen. In der Bastille lagen die Invaliden, die schossen mit Flinten aus den Löchern; doch tate auch dieses nicht viel Schaden; ungefähr 47 Mann fielen. Man arbeitete unterdessen, um die Zugbrücken
herunterzubringen, legte Feuer an unter die Bäume, die sie aufhielten, und so kame man endlich hinein. Als sie einmal darinnen waren, hatten sie weiter keinen Widerstand zu fürchten, denn es lagen nur ungefähr 50 Mann Invaliden darinnen und etliche 30 Schweitzer von Salis Samate. Jetzt fielen sie auf den Gouverneur ein. Einer von der Garde française packte ihn zuerst. Er wurde sogleich von dem Volk mit einem Orden behangen. Sie führten ihn nebst noch einem Vorgesetzten der Bastille, dem Inspecteur über Pulver und Salpeter, einigen Invaliden, die Feuer gegeben hatten, dem Guichetier (Türknecht des Kerkermeisters) in Triumph auf den Place de Grève. Hier kamen sie schon zum Teil halbtot an. Man hängte sie da vollends oder schluge ihnen die Köpfe herunter; der nächste beste, der einen Säbel [hatte], verrichtete dieses auf dem Pflaster ohne alle Umstände. Zugleich hatten sie einen Brief von dem Prevot des Marchands entdeckt, den er nach Versailles schicken wollte, um den König zu benachrichtigen: daß der Aufruhr in Paris allgemein seie, die Bürger auch schon zum Teil bewaffnet wären, er wolle indessen die übrigen von ihm geforderten Waffen so lange zurückbehalten und die Bürger so lange aufhalten, bis der König Truppen geschickt habe oder sonst Anstalten geschafft wären, die Unruhen zu dämpfen. - Dieser Msr de Flaissel wurde also geholt
nebst seinem Sohn, aufs Rathaus geführt, er mußte selber seinen Brief vorlesen. Als er geendigt, schoß ihm ein junger Mensch mit einer Pistole an den Hals. Er lebte noch u. wehrte sich mit Verzweifelung. Es war eine wahre Hetze, die man mit ihm hielte: Man riße ihn die Treppen herunter - sein Sohn folgte ihm -, warfe ihn aufs Stroh - er stieße noch mit der Hand das Stroh hinweg -, ein anderer hiebe ihm den Kopf herunter.
Dieser und des Gouverneurs Kopf wurden auf Stangen gesteckt und so mit Trommeln und der Bürgerwacht in einem Teil der Stadt herumgetragen. Ich begegnete diesem Zug in der Straße, wo Heinrich der IV. ermordet wurde. Noch niemals habe ich eine solche schreckliche Empfindung gehabt, die durch das Freudengeschrei, durch das Applaudieren, durch die Unzügellosigkeit noch verstärkt wurden. 
Mit Entsetzen sahe ich den Kopf auf der Stange, mit noch größerem Entsetzen um ihn, neben ihm, über ihm ein allgemeines Händeklatschen. Damen hatten alle Fenster besetzt, sie lagen halb heraus, um den schrecklichen Auftritt durch ihre schrecklich frohlockende Teilnahme noch fürchterlicher [zu machen]. »Ah, quelle grimace qu'il fait, le vilain« (Oh, was für eine Fratze er schneidet, der Garstige!), rief ein gut gekleidetes Frauenzimmer neben mir und lachte dabei hoch auf. Es war empörend für die Menschheit, und noch nie sind mir fröhliche Gesichter so schrecklich vorgekommen als dieses mal. Das Volk, das sonst so sanft, so gut, so fein ist, zeigte sich hier als das grausamste, unmenschlichste, unzivilisierteste Volk; das Geschlecht mit den feineren Nerven, für Empfindungen u. feinere Empfindung geschaffen, so oft so liebenswürdig, so edel, so tändelnd, zeigte sich hier in einem fürchterlichen Bilde. Man schenkt mitleidig eine Träne dem Mörder, dem Räuber, der aus den Schranken der Menschheit trat, um seine Habsucht grausam zu befriedigen, wenn er auf dem Rade liegt, wendet das Gesicht ab und betet für seine Seele, und hier hohnlacht man über einen Unglücklichen, der die Befehle seines Herrn ausrichtete u. ein Opfer seines Gehorsams wurde. Von diesem Augenblick an sehe ich heller in den Charakter der Franzosen. Ich sehe den Pariser: ohne Charakter [als] nur dem, den der Moment gibt, den gesellschaftliche Verbindungen erzwingen, - nur dem, der nötig ist, um eine Außenseite zu haben. Ich sehe, wie nötig es ist, daß er immer unter einem eisernen Szepter geführt wird; er kann nicht frei sein, denn er ist grausam und ungerecht, ohne Festigkeit, ohne Grundsätze, gewohnt, geleitet u. gegängelt zu werden. Zügellosigkeit hält er für Freiheit, für Patriotismus. Er ruft: »Vive la nation, le Tiers état!«; und dieses ist alles, was er für's Vatterland tut; und wer nicht mitruft, dem schlägt er auf den Kopf. Und diese Nation will sich frei machen u. fühlt sich frei in dem Augenblick, wo sie die größte Tyrannei ausübt, wo nur eine Meinung die herrschende sein darf und jede andere schrecklich gerächt wird! Nein, gewiß in dem Augenblick ist er nicht fähig der Freiheit, der der Engländer, der Schweitzer, der Amerikaner genießt. Bis die Ideen aus seinem Kopfe sind, daß in Befolgung der Gesetze Sclaverei ist, - daß er einen Charakter, feste Grundsätze hat, vergehen vielleicht Jahrhunderte.
Die Einnahme der Bastille wird gewiß in Europa Lärmen verursachen; und man wird den Franzosen dieses zur Ehre anrechnen und als einen großen Beweis ihres Muts. Wenn man aber weiß, daß sie dieses taten, um nur die Canonen daraus zu haben, um nur Gewalttätigkeit auszuüben, wenn man weiß, daß der Plan, die Gefangenen zu befreien, dieses Gebäude zu demolieren, erst nachher entstand und also auf sie bei der Einnahme nicht wirken konnte: so fällt dieses Lob weg.
Da die Unruhen so stark sind, daß man nicht fähig ist, mit kaltem Blut und in der Ordnung sich hinzusetzen u. zu schreiben, da ohnedem HE. v. Hiller bei mir ist und mich immer unterhält: so bleibt eine Lücke in dem Journal - den Datums nach, nicht des Inhalts. Ich werde hier nur die Anektoden, die ich hie u. da erfuhre, aufzeichnen.
Der Vice Nonce L'Abbé *** fuhr bei diesen Unruhen aus. Das Volk arretierte ihn, führte ihn aufs Hotel de Ville. Die Herren baten ihn um Verzeihung - er bate, daß man ihn wenigstens sicher nach Hause schaffen möchte. Man erklärte ihm, daß man alles tun wolle, wirklich aber nicht ganz Meister seie; man stehe für nichts. Wie mußte es nicht diesem Manne zu Mute sein!

Anm,; von Wolzogen nahm erst am 5. September 1789 sein Tagebuch wieder auf. Die Massaker von Anfang September übergeht er.
(Herausgegeben von Eva Berié und Christoph von Wolzogen, S. Fischer Verlag 1989)

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