Sonntag, 20. September 2015

Vorrangige Option für die Familie XII - Die Rolle der Barmherzigkeit in Familienfragen

XII. Die Rolle der Barmherzigkeit in Familienfragen


93. FRAGE: Heutzutage herrscht so viel Unwissenheit über die Ehe, ihren Zweck und die Pflichten, die mit ihr verbunden sind; bedeutet das nicht, dass der Großteil der heute geschlossenen Ehen als ungültig zu betrachten ist?

ANTWORT: Die Unwissenheit sollte durch eine gründliche und ernsthafte Vorbereitung auf die Ehe bekämpft werden, die auch die Lehre der Kirche behandelt. Es ist wirklich merkwürdig, dass viele, die heute auf Grund der allgemeinen Unwissenheit eine Lockerung der Sittenlehre der Kirche verlangen, die gleichen sind, die einst die Lockerung der moralischen Erziehung verteidigt haben, die gerade zu dieser Unwissenheit geführt hat.
„Die rechtzeitige Vorbereitung auf die Ehe ist äußerst wichtig, und sie sollte begonnen werden, bevor junge Menschen das Alter erreicht haben, in dem es in ihrer jeweiligen Gesellschaft üblich ist, sexuell aktiv werden; in der westlichen Welt müsste das vor der Teenagerzeit getan werden. (…) Sicherlich ist die Aufgabe der Kirche, Wunden zu verbinden und zu heilen, aber wie jeder gute Arzt weiß, ist Prävention die beste Medizin. Jugendliche sind sehr viel offener dafür, sich mit der Tugend der Keuschheit auseinanderzusetzen, als allgemein angenommen wird“ (Stephan Kampowski, Ein in der Zeit gelebtes Leben, in Pérez-Soba und Kampowski, a.a.O., S. 118)


94. FRAGE: Müsste eine Pastoral, die in erster Linie durch Barmherzigkeit geprägt ist, den Prozess der Nichtigkeitserklärung der Ehe nicht erleichtern?

ANTWORT: Nach Meinung des bedeutenden Kirchenrechtlers Kardinal Raymond Leo Burke garantiert das aktuelle Ehenichtigkeitsverfahren den Parteien volle Gerechtigkeit, so dass keine Notwendigkeit besteht, seine gegenwärtige Struktur zu ändern. (vgl. Kardinal Raymond Leo Burke, Das kanonische Ehenichtigkeitsverfahren als Mittel zur Wahrheitssuche, in In der Wahrheit Christi bleiben: Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Echter Verlag, Würzburg, 2014, Kap.9).
Natürlich besteht die pastorale Lösung in erster Linie darin, sicherzustellen, dass die Ehen in bewusster und gültiger Form geschlossen werden und eventuelle Ehenichtigkeitsverfahren für alle, auch für die weniger gebildeten Schichten, zugänglich gemacht werden. Es ist aber nicht ratsam, die Gültigkeit vieler Ehen in Frage zu stellen, um eine kleine Minderheit von wiederverheirateten Geschiedenen zufrieden zu stellen, die die Kommunion empfangen wollen, ohne ihren Status zu ändern.
„Liebe ohne Gerechtigkeit ist keine Liebe, sondern nur eine Fälschung, weil die Liebe selbst jene Objektivität verlangt, die typisch ist für die Gerechtigkeit und die nicht mit unmenschlicher Kälte verwechselt werden darf. Diesbezüglich gilt, was mein ehrwürdiger Vorgänger, Johannes Paul II., in seiner feierlichen Ansprache über die Beziehungen zwischen Pastoral und Recht festgestellt hat: ,Der Richter muss sich daher immer vor der Gefahr hüten, falsch verstandenes Mitleid zu üben, das in Sentimentalität versinken würde und nur scheinbar pastoral wäre‘(18. Januar 1990, in O.R. dt., Nr. 5, 2.2.1990, S. 10, Nr. 5). Wir müssen pseudopastorale Ausflüchte vermeiden, die diese Fragen auf einer rein horizontalen Ebene ansiedeln, auf der es darum geht, subjektive Forderungen zufrieden zu stellen, um um jeden Preis eine Erklärung der Nichtigkeit zu erreichen – unter anderem zu dem Zweck, Hindernisse auszuräumen, die dem Empfang des Sakraments der Buße und der Eucharistie im Wege stehen. Das hohe Gut der Wiederzulassung zur eucharistischen Kommunion nach der sakramentalen Versöhnung erfordert dagegen, das wahre Wohl der Personen im Auge zu haben, das untrennbar mit der Wahrheit ihrer kirchenrechtlichen Situation verbunden ist. Es wäre ein fiktives Wohl und ein schwerwiegender Mangel an Gerechtigkeit und Liebe, wenn man ihnen dennoch den Weg zum Empfang der Sakramente ebnen würde. Und es würde auch die Gefahr bergen, diese Menschen in objektivem Gegensatz zur Wahrheit ihrer persönlichen Situation leben zu lassen.“ (Benedikt XVI., Ansprache an die Mitglieder des Gerichtshofs der Römischen Rota am 29. Januar 2010).

Fortsetzung: Vorrangige Option für die Familie XIII

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